Der bessere Mensch

Radfahrer behaupten gern von sich, bessere Menschen zu sein. Weil sie das Fahrrad statt dem Auto benutzen, wenn sie sich fortbewegen. Weil sie „ihren Mitbewohnern Lärm, Gestank und tödliche Unfälle ersparen“, wie es die Chefredakteurin des Berliner ADFC-Magazins „radzeit“, Frau Finkelstein, schreibt.

Bin ich ein besserer Mensch, wenn ich mit dem Fahrrad zur Arbeit fahre, aber einen großen Teil meiner Einkäufe im Internet bestelle? Wie kommen die zu mir nach Hause? Per drahtloser Übertragung? Der Film vielleicht, die Zahnbürste wohl nicht. Eingepackt von Arbeitskräften zum Hungerlohn. Bin ich ein besserer Mensch, weil ich ein freilaufendes Huhn vom Bauernhof esse? Der passiv-aggressive Vegetarier wird mich wohl trotzdem für ein Arschloch halten. Ist ein Arzt ein besserer Mensch als ein Müllmann? Ui ui ui, jetzt wird es aber gefährlich. Und dämlich.

Sich als Person oder Personengruppe moralisch über die Anderen zu erheben, kann eigentlich nur nach hinten losgehen. Mit dem Ergebnis, dass man das dann im Verhalten der Sichfürwasbessereshaltenden sieht. Der Büroschnösel, der der Putzfrau einen extragroßen Sauhaufen am Arbeitsplatz hinterlässt. Und der Radfahrer. Ich fahre, also bin ich. Und zwar was Besonderes. Deswegen gelten natürlich auch keine Regeln für mich. Ampeln sind nur für Autos gedacht. Es gibt Radfahrer die ernsthaft im Internet diskutieren, die StVO gelte für sie nicht, weil sie nur für Autos gedacht und gemacht sei. Regeln sind nur Repression.

Vor mehr als zehn Jahren war der damalige Berliner ADFC-Vorsitzende übrigens anderer Meinung. Radfahrer seinen keine besseren Menschen, sagte er. Ob das eine Einzelmeinung gewesen ist, weiss ich nicht. Die in der „radzeit“ geäußerte ist es mit Sicherheit nicht. Die B.Z. hakte bei Frau Finkelstein nach, was es mit ihrer steilen These auf sich habe. Das wäre die Gelegenheit gewesen, dass zu präzisieren oder geradezurücken. Stattdessen gab’s offenbar nur eine dumme Antwort. Schade.

Gräberfahrt

Zum heutigen Jubiläum des Mauerfalls war es voll in der Stadt, besonders voll an der „Lichtgrenze“, die den ehemaligen Verlauf der Mauer markiert hat. Diese Lichtgrenze führte auch über den Invalidenfriedhof und bot dort den Radfahrern ausreichend Gelegenheit zu beweisen, das unter ihresgleichen ein breiter Bodensatz an charakterlich gestörten Individuen existiert. Absteigen vom Rad und schieben? Auf einem Friedhof? Warum denn. Auch dann nicht, wenn nicht mal genug Platz für die Massen von Fußgängern ist, die der Lichtgrenze entlang wandern wollen. Man kann klingeln und sich einfach Platz verschaffen, oder man kann auch querfeldein den Stau umkurven. Einfach über die Gräber fahren, anhalten, Fuß auf der Grabplatte, sich umschauen, weiterfahren, klingeln, auf empörte Rufe einiger Fußgänger, hier nicht über die Gräber zu fahren, gar nicht reagieren. Den Vorwärtsdrang des Radfahrers halten weder die Lebenden noch die Toten auf.

IMG_6496

Ich fahre hier und kann nicht anders?